Yoga am Rialtoring 74
Janet Kaminski
YOGA DER GELASSENHEIT
Wenn wir mit dem Auto einen uns unbekannten Ort ansteuern, verlassen wir uns weitgehend auf die Software des Navis. Sollten Sie also mit dem Gedanken spielen YOGA zu praktizieren, was klug wäre, dann wäre eine Navigationshilfe nicht minder angebracht. Wir folgen unserem Verstehen, bliebe dieses ungeklärt, würde das den Erfolg unserer YOGA-Praxis behindern. Tatsächlich ist YOGA weitaus mehr, als ein System körperlicher Gesundheitsübungen.
Worauf YOGA abzielt, will ich am Beispiel der Balance deutlich machen
Auf dem ersten Blick scheint unser körperliches Sein vollkommen der Bedingung der Schwerkraft zu unterliegen, schaut man jedoch genauer hin, erweist sich das als Täuschung. Leben – also auch der Organismus der wir sind – unterliegt nicht der Schwerkraft! Das Leben hat sich innerhalb der Bedingung der Schwerkraft entwickelt, es ist die Antwort auf die Schwerkraft, und das in jeglicher Hinsicht.
Sich-Aufrichten
Wenn Sie diese Tatsache für sich gelten lassen können, haben Sie bereits den ersten Schritt getan, über den rein körperlichen Aspekt des YOGA hinauszuschauen. Tatsächlich hängen unsere Leichtigkeit und unsere Gesundheit maßgeblich davon ab, ob wir geistesgegenwärtig oder wach genug sind, der Kontinuität der Schwerkraft die Kontinuität des Sich-Aufrichtens entgegenzusetzen. Unser Leben ist ein achtsames Spiel mit der Schwerkraft. Beachten wir diese Tatsache nicht, so verlieren wir unsere Leichtigkeit.
Balance
Körperlichkeit und Balance sind keine individuellen Fähigkeiten, sondern die natürlichen Grundlagen des Lebens. Diese zu realisieren unterliegt jedoch gnadenlos der Bedingung unserer Aufmerksamkeit für das Hier und Jetzt. Das Empfinden und Spüren der Welt, wie unseres körperlichen Seins, sind Voraussetzungen des Sich-Aufrichtens.
Rückenschmerzen, nein danke
Rückenschmerzen, Bandscheiben- Muskel- oder Gelenkprobleme sind in aller Regel die Folge des Verlustes von Balance, körpergemäßer Haltung und natürlicher Bewegung. Es handelt sich also weniger um medizinisch-therapeutische oder um sportliche Herausforderungen, als um eine Herausforderung an unsere Aufmerksamkeit für das Hier und Jetzt.
Ein verspannter Mensch ist ein entspannter Mensch, der sich verspannt
Wir können Entspanntheit auf der Ebene des Körperlichen nicht erreichen, solange eine fehlende Balance unsere Gelenke daran hindert, ihre natürliche Stellung einzunehmen. Waches stilles Spüren und Gelassenheit stellen die angemessene Geisteshaltung dar, um das YOGA und den Alltag zu meistern.
Das Genie des Natürlichen
Wahre Meisterschaft – und das trifft ebenso für unser YOGA zu, wie für unseren Alltag – ist in uns angelegt. Dafür müssen wir nicht mehr tun, als das Leben zu beachten. Leben will gelebt werden, nicht irgendwann in der Zukunft, sondern hier und jetzt. Selbstachtung und Selbstbeachtung gehören zusammen, und dies vollkommen unabhängig von Alter, Geschlecht oder körperlicher Kondition. Ja, die Meisterung des YOGA beruht auf nichts anderem, als auf Selbstachtung und Selbstbeachtung, davon ist niemand ausgeschlossen.
Das Wort Haltung ...
… zeigt über das Körperliche hinaus auf den ganzen Menschen. Tatsächlich ist ein gelassener Mensch ein Mensch, der sich lässt. Verspannungen, Schwäche oder der Verlust der Mitte resultieren aus der alltäglichen Gedankenverlorenheit. Das heißt: die im YOGA vermittelte Achtsamkeit für unser körperliches Sein ist nichts, anderes, als die Achtsamkeit für diesen realen Augenblick. Das ist Medizin, in jeglicher Hinsicht. Es wäre also kurzsichtig, würde die YOGA-Praxis nicht gleichermaßen auf unsere geistig-mentale wie körperliche Integrität abzielen.
Dieser Augenblick ist Medizin, er relativiert all unsere Vorstellungen
Gedankenverlorenheit resultiert aus der Tatsache, dass wir unsere Gedankeninhalte als Ausdruck des Realen verstehen, woraus sich nahezu all unsere Ängste, Sorgen und Konflikte ableiten. Wir haben Angst vor Einbrechern, vor dem Tod, vor dem Alter oder vor Verlust. Schauen wir jedoch genau hin, dann sind in der Regel zwar die Ängste gegenwärtig, nicht jedoch die Einbrecher oder der Tod. Es gilt zu erkennen, dass der Gedanke an einen Verlust uns ebenso viel Angst bereiten kann, wie ein realer Verlust. Es ist also nicht klug, aus einem Mangel an Geistesgegenwärtigkeit heraus, Ängste vor dem aufzubauen, was allein in unseren Vorstellungen existiert. Wir übersehen dabei leicht, dass wir weniger an Verlusten leiden als vielmehr am Festhalten.
Unser Geist ist ohne Alter, doch leider weiß der Körper nichts davon
Offensichtlich unterliegt das Körperliche dem Wandel, unser Geist aber ist zeitlos und wir erkennen hier und jetzt weder einen Anfang noch ein Ende. Wir kommen weich und stark auf die Welt, und wir verlassen sie steif oder schlaff und körperlich schwach. YOGA zielt darauf ab, die natürliche Weichheit, Stärke und Vitalität, sowie den rechten Muskeltonus lebenslang zu erhalten.